Burschenboxen 2023
Tief in Bayern
Oder: wer nur München kennt, hat Bayern nicht erlebt

Schon von fern höre ich das Gejohle im Festzelt. Kurz darauf bin ich drin. Die Stimmung ist grandios.

l.: noch ist die Stimmung in der Aufwärmphase

r.: das Logo der lokalen Brauerei gleich auftätowiert – so muss das sein

 

 

Boxen war mir immer suspekt, ist es noch. Aber um mich geht’s ja hier nicht.
Das Dorffest geht ins zweite Wochenende. Die Burschenvereine der Region treffen sich, um ihre Boxer gegeneinander antreten zu lassen.
Vor dem Einzug stellt der Moderator sie vor. Mit Namen, Alter, Größe und Gewicht. Sie nennen sich Iron Rist, The Viking, Urviech oder Hopfen-Torpedo.
Hobbies: saufen und rumblödeln.
Motto: Scheiß dir nix, dann fehlt dir nix. Oder: Wer trainiert, hat kein Talent.
Einzugsmusik: Eminem, Metallica, Wickie, Biene Maja, …
Einer hat eine Gruppe Cheerleader, bestehend aus 2 Mädels und 4 Jungs – alle in rotem Glitzerkleid und mit Federbüscheln zum wedeln.
Das ‚Urviech‘ lässt alle seine Trophäen auffahren: einen Longhorn-Schädel, und irgendwelche Gürtel und Schilder. Das meiste sieht selbst gebastelt aus, aber etwas besser als Lebkuchenherzen vom Jahrmarkt. Der Spaß, den Boxer und ihre Fans haben, steckt an.

l.o.: die bisherigen Trophäen des 'Urviechs'

r.o.: Cheerleader (m+w)

darunter: Einzug

unten: auf in die 3. Runde, die Stimmung kocht hoch ...

 

 

Coole Musik, Gejohle, heiße Kämpfe, immer wieder muss der Schiedsrichter eingreifen. Da bleibt kein Auge trocken. Nach dem Kampf umarmen sich die Boxer oft, nehmen den Applaus Arm in Arm entgegen – es ist einfach ein Come-Together von Freunden.
Ich kaufe mir eine Mass und eine Leberkässemmel am Tresen, gehe zurück zu meinem Stehplatz (beim Oktoberfest undenkbar). Nach 1,5 h gehe ich wieder. Die Feier ist noch lange nicht aus. Dafür bin ich schon überzeugt, und komme ab jetzt jedes Jahr.

Meine ganz persönlichen Folgerungen:


1) Du kannst in München machen, was du willst. Auch aufs Oktoberfest gehen. Du hast noch nichts gesehen. Tief in Bayern bist du erst außerhalb der Stadtgrenze. Sei nächstes Mal dabei, und du hast Bayern erlebt.

 

2) Wir führen anregende Gespräche, trinken ein schönes Glas Wein, reden sogar über deine Gefühle. Alles schön und gut. Ich komme an diesem Festzelt vorbei, gehe rein, und bekomme den vollen Rückschlag. Biertrinker, Blöder, Unfug, coole Musik und ganz viel Spaß – da bin ich daheim.

 

3) Dieses Anarchische, Unbeeindruckte, in sich Ruhende, mit der Extraportion trockenem Humor, das sich nicht viel um die Meinung anderer kümmert – dieses Bayrische in Literatur zu übertragen, das ist wohl mein Schicksal. Dadurch, dass ich früher immer von hier weg wollte, hat es mich mehr geprägt, als ich wollte. Jetzt bin ich cool damit.


Am nächsten Morgen, um 05:30, schleich ich wieder am Festzelt vorbei. Mache einen Morgenspaziergang (mache ich gerne mal um diese Zeit). Mit einem leeren Bierkasten, um bei der Gelegenheit gleich Geld einzusammeln (also: leere Flaschen).
Ein Cabrio fährt langsam, als es auf meiner Höhe ist. Beobachtet er mich? Ich gehe einfach weiter. Etwas ist dann anders. Das Dach klappt sich ein, Musik läuft auf einmal, etwas von REM. Dann fährt er raus, ins Grüne. Was gibt es Schöneres, als morgens um 05:30 mit der Musik von REM Richtung Egmating und Kastensee zu fahren? Fallen nur mir bessere Möglichkeiten ein? (Nix gegen REM. Aber beim posen kann laute Musik schnell peinlich werden …)
Meine ‚Ernte‘ fällt gut aus. Fast übersehe ich dabei einen der Burschen, der am Zaun sitzend eingeschlafen ist. (Meine Frau ulkt später, er hätte die leeren Flaschen bewachen sollen).

 


Der Samstag geht weiter mit Feuerwehr-Events und Party-Programm, aber wir müssen ausruhen.

 

Am Sonntag bin ich um 05:45 wieder unterwegs. Vor dem Festzelt sitzt ein Musikant, in voller Tracht, mit seiner Tuba, und blättert in seinem Notenheft.
Auf meinem Rückweg kracht es. Kurz nach 6:00 werden Salutschüsse abgefeuert (wohl um die Akteure zu wecken).
Kurz nach 8:00 gehe ich wieder raus – Musik lockt mich. Ein Teil der Blaskapelle marschiert durch den Ort. Vorne weg ein Feuerwehr-Hauptmann mit Taktstock. Mit Pauken und Trompeten, Tuba und Dschingarassabum marschieren sie durch den Ort. Auf die Straße, über die Durchgangsstraße, die noch nicht gesperrt sind. Die wenigen Autos um diese Zeit haben dann einfach verloren.
Trachten gehen in Richtung Festzelt, die Feier geht weiter.
Mich überkommt ein ‚Valencia-Feeling‘.  LINK   Zu den ‚Fallas‘ geht es dort genauso zu, nur um einige Stufen extremer.
Feuerwehrautos (Kleinbusse) fahren ebenfalls Richtung Festzelt. Sie bringen Männer aus den Nachbarorten hierher. Heute ist ihr Fest.

obere Reihe: kurze Runde durch den Ort, Sonntag um 08:00, mit Dschingarassabumm. Wer unbedingt mit dem Auto unterwegs sein muss: warten, bis der Zug durch ist. Der hat jetzt Priorität

 

 

Kurz vor 11:00 gibt es wieder was zu sehen. Die Vereine des Ortes machen einen Umzug. Darunter sind Feuerwehren aus den Nachbarorten. Hinter der Feuerwehr Hohenbrunn stehe ich. Andere Feuerwehren jubeln oder johlen ihnen zu, wenn sie vorbeikommen. Der Fahnenträger wirbelt mit seinem schweren Wimpel, muss ganz schön gegensteuern, dass ihm das ganze Ding nicht aus der Hand fliegt.
Ein älterer Kommandant schreitet, mit seinem aufnahmebereiten Telefon hoch erhoben, in Gegenrichtung durch die Reihen seiner Truppe, um tolle Bilder zu bekommen.
Zum Schluss darf unsere Freiwillige Feuerwehr ihren Deutz-Oldtimer fahren, den sie in ganz, ganz viel Eigenarbeit flottgemacht haben. Es ist ihr ganz besonderer Stolz. Außerdem feiern sie 150-jähriges Jubiläum.

Nachmittags gehen wir spazieren. Im Bierzelt kocht die Stimmung über. Doch die Lücken sind unübersehbar. Der Abbau ist bereits in Gange. Die Musik verstummt, es wird noch gejohlt und gefeiert, solange es noch geht.

Hier wird echt hart gefeiert.
Wer München gesehen hat, gar das Oktoberfest, hat nichts gesehen. Tief in Bayern ist man erst außerhalb der Stadtgrenze, zum Beispiel hier.


 

Lust auf mehr Entdeckungen im Münchner Umland?

Zum Beispiel Geister, die man hier nicht erwarten würde? (Weil Geister eher in England zuhause sind, bzw. wir sie eher von dort kennen ...?)

 

Dann ...

(in Vorbereitung)

(Kurzgeschichten, Band 3: Horror-Stories)